Vom Einssein in der Musik

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Als Mitglied des außergewöhnlichen Bläserensembles „Federspiel“ war Simon Zöchbauer schon vielfach in den Vier Neuen Sälen zu Gast. Nun ist der junge österreichische Trompeter und Komponist mit seiner ganz eigenen Musik zu hören. Im Metallenen Saal präsentiert er das Programm seines bemerkenswerten Debütalbums „Achad“. Karoline Pilcz traf ihn vorab zum Gespräch.

Dreißig Jahre alt ist er, der österreichische Trompeter, Zitherspieler und Komponist Simon Zöchbauer, und doch hat er nicht nur ein ausgedehntes und weitreichendes Musikstudium hinter sich, sondern auch fünfzehn Jahre Musizier- und Kompositionserfahrung mit dem namhaften und prämierten Ensemble „Federspiel“, dessen Mitbegründer er ist. Hier wird zu siebent geschaffen, probiert, verworfen und aufgeführt; ausgehend von traditionellen, meist volksmusikalischen Versatzstücken lassen die jungen Blechbläser in ihren Kompositionen und Arrangements konventionelle Grenzen links liegen und kreieren Eigenes, Neues. „Dieses Ensemble hat mich geprägt. Das gemeinsame Arbeiten, das gemeinsame Entscheiden, das gemeinsame Spiel. Daher komme ich“, erzählt mir Simon Zöchbauer an einem warmen Julitag, während wir in Westwien bei einem Apfelsaft gespritzt und einer betörend schönen Aussicht über die Stadt sitzen und er mir zwischen zwei anderen Terminen einen kleinen Einblick in sein Tun und Denken gewährt. „Aber irgendwann wollte ich unbeeinflusst von den Grenzen und der Vergangenheit des Ensembles meinen eigenen Sound entwickeln.“

Der eigene Sound
Und, voilà, hier ist er, der eigene Sound. In akribischer Arbeit entstand während der vergangenen Jahre Simon Zöchbauers Soloalbum „Achad“, mit dem er Anfang 2019 debütierte. Der junge Österreicher zeichnet hier nicht nur als Komponist, sondern auch als Interpret und Produzent verantwortlich. Mit ins Boot hatte er sich für dieses Langzeit- und Herzensprojekt ein geniales Team geholt: Schlagzeuger und Soundtüftler Sixtus Preiss für die elektronischen Zusätze sowie die vier Musikerinnen des renommierten Koehne Quartetts als Musizierpartnerinnen. „Achad“ also nennt Simon Zöchbauer dieses erste Album – ein Titel, der sicherlich sehr bewusst und überlegt gewählt worden ist. Das hebräische Wort „achad“ meint die Ordnungszahl „eins“, im übertragenen Sinn aber auch „Einssein“ oder „Ganzheit“. Diese „Eins“ im Titel mag also auf Fortsetzung hinweisen; gleichzeitig könnte sie als Motto stehen und kundtun, etwas Ganzes sein zu wollen, eine Einheit, ein Einssein. Vielleicht ist die Einheit der Musizierenden damit gemeint, vielleicht die Ganzheit der einzelnen Stücke, das Einssein mit der Musik oder die Vereinigung von unterschiedlichen Stilen und Spieltechniken. Vermutlich will sich der Titel gerade einer exakten Definition entziehen, aber Hinweise geben für Deutungsmöglichkeiten, Gedankenanstöße, Anregungen.

Einfach schön!
Jedenfalls sind die elf Stücke der CD sehr verschiedenartig angelegt. Gemeinsam ist ihnen, dass in jedem von ihnen etwas scheinbar Bekanntes zu finden ist. Man sucht ja als Hörer immer nach etwas bereits Bestehendem, nach etwas, das einordenbar ist. Und so vermag man bei Zöchbauers Musik Anklänge an Archaisches zu vernehmen: Anklänge an Sakralmusik, an Religiöses, wie es auch der eine oder andere Titel wie „Fall der Engel“, „Zabaoth“, „Erlösung“ oder „Hymnus“ suggeriert, Anklänge auch an die Klassik und die Volksmusik. Der junge Komponist und musikalische Erkunder scheut sich jedenfalls keineswegs vor Tradition, Spiritualität und Tonalität und schafft Sequenzen von bestechender harmonischer und kompositorischer Schönheit. Er bietet dem Zuhörer virtuose und melodiöse Abschnitte, die an frühbarocke Streichermusik erinnern, oder solche, von denen man meint, sie würden in jazzige Passagen münden, was sie nur ansatzweise tun. An rhythmischen Elementen fehlt es nicht, und wenn ein Stück beinah mozartisch endet, führt dies beim Zuhören zu einem ungemeinen Wohlbefinden. Solch ein Wohlbefinden stellt sich beim Zuhören übrigens immer wieder ein. Zöchbauers Musik geht wohl neue Wege, sie wendet moderne Spieltechniken an, setzt Elektronik ein, besitzt improvisatorische Elemente und scheint mitunter ins Atonale und Polytonale zu driften – und doch weist sie fassliche harmonische und formale Strukturen auf, ist in sich geordnet und organisiert. Mit einem Wort: Musik, die „einfach schön“ ist.

Sinnliches Ausloten
Das, was sich vor den Zuhörenden als ein Ganzes präsentiert, versteht der Komponist und Interpret selbst übrigens als ein sinnliches Ausloten. Als etwas, das sich den vielfältigsten Einflüssen, der Volksmusik, der sakralen, barocken, klassischen und modernen Musik, dem Jazz, der experimentellen und elektronischen Musik öffnet. Und außerdem mit den Grenzen der Instrumente spielt. „Was geht noch?“, ist dabei Zöchbauers ständige Frage. Somit ist sein Album ein Erkunden, ein intuitives und improvisatorisches Suchen und Forschen, das erst später in Form gegossen wird. Am Anfang eines Stückes sei da ein Wort, erzählt mir Simon Zöchbauer. Eine Stimmung, ein Gefühl, eine Geschichte als Grundidee einer Komposition, die er als Skizze zu Papier bringe. Farbig, mit Buntstiften. Dazu kämen dann Stimmungen, Entwicklungen. Das bunte Bild, das auf diese Weise entsteht, werde anschließend nach und nach angefüllt mit musikalischem Material. Erst nach dieser kreativen, spontanen und intuitiven Vorarbeit gehe es an die eigentliche Kompositionsarbeit am Computer. Simon Zöchbauer betont immer wieder das Intuitive an seinem Schaffensprozess, es gehe ihm um Gefühl, nicht um Ratio. Aber natürlich liegt seinem Tun eine langjährige Auseinandersetzung mit traditioneller Musikproduktion und Wissen um Kompositionstechniken zugrunde.

Kunst, Können, Koehne
Der 1988 in Herzogenburg, Niederösterreich, geborene, in Wien lebende Musiker durchläuft den üblichen Kanon universitärer Ausbildungen. Er studiert an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien nicht nur klassische Trompete, sondern auch Komposition sowie in Nebenfächern Neue Musik und Jazz. Außerdem verbringt er einzelne Semester in Deutschland sowie in New York, wo er für ihn wichtige Impulse für sein Schaffen als Komponist und sein Wirken als Interpret erhält. Er schreibt sich selbst Trompetenkonzerte, die neue Spieltechniken wie Zirkularatmung und das Aufschrauben von Ventilen beinhalten, er komponiert und arrangiert, und dann zieht es ihn immer mehr zum Streichquartett als Partner und Kontrapunkt der Trompete. Nicht zufällig fällt seine Wahl, als er Musizierpartner für sein Soloprojekt sucht, auf das in Wien ansässige Koehne Quartett. Bereits 1987 von der damals blutjungen australischen Violinistin Joanna Lewis gegründet, hat sich das Ensemble einen herausragenden Ruf besonders auf dem Gebiet der Neuen Musik erworben. Die vier Damen – neben Lewis ihre Landsfrauen Anne Harvey-Nagl und Melissa Coleman sowie die kanadische Bratschistin Lena Fankhauser – haben von Anfang an die enge Zusammenarbeit mit Komponisten und Komponistinnen gesucht und auch im Bereich des Jazz ihre Erfahrungen gesammelt. Es ist erstaunlich, wie eigenständig jede der Interpretinnen ist, wie individuell und voller Persönlichkeit, und wie die vier dann doch wieder zu einer Einheit werden und verschmelzen zu einem einzigen Klangkörper, zu einem einzigen Instrument. Und das wiederum wird mit der Trompete eins, die sich manchmal subtil dazumischt, anfangs fast unhörbar, mit Klangfarben spielt, vorgibt, etwas anderes als sie selbst zu sein, um sich dann wieder in brillante und strahlende Höhen aufzuschwingen, wie sie typisch für das Instrument scheinen.

Freigeist mit Tiefgang
Simon Zöchbauer, ernst und verspielt zugleich, ein Ausloter und Experimentierer, ein Freigeist mit Tiefgang und Substanz, der sich seiner Wurzeln durchaus bewusst ist, findet im weiblich besetzten Koehne Quartett einen adäquaten Musizierpartner. Ein Hauch von Erotik mag überdies – unbewusst und subtil möglicherweise – mitspielen bei diesem außergewöhnlichen und besonderen Quintett: vier Frauen und ein Mann, vier Streichinstrumente und ein Blasinstrument. Diese unorthodoxe Zusammenführung ist nicht nur schön anzusehen, sie klingt auch wunderbar und dergestalt, als ob es in der Musikgeschichte nie etwas anderes als das Zusammen von Trompete und Streichquartett gegeben hätte. Das Ensemble vermittelt dem Zuhörer ein Gefühl von Einheit, von Einssein und von einem Ganzen, von dem man meint, es wäre immer schon da gewesen. So wird also das hörbar, von dem Simon Zöchbauer erzählt und was er bei seinem Musizieren anstrebt: das Einssein in und mit der Musik.

 

Mag. Karoline Pilcz schreibt neben ihrer Tätigkeit als Sängerin kulturjournalistische Artikel und Rezensionen.